Amyotrophe Lateralsklerose
http://als.factlink.net/112266.2
18 Nov. 2024; 11:31

29 Aug. 2002, a
 
Hoffnung oder Scharlatanerie – Stammzellentherapien in der Ukraine
 
Das in Kiew ansässige medizinische Zentrum „Emcell“, spezialisiert auf die Transplantation von embryonalen Stammzellen, verspricht Personen mit den verschiedensten Erkrankungen rasche Heilung. ALS, multiple Sklerose, AIDS, Sepsis und viele Krankheiten mehr konnte das Ärzteteam vom „Emcell“ laut eigenen Berichten durch die Injektion von embryonalen Stammzellen heilen. 1500 Stammzellentransplantationen hat die Mannschaft rund um die beiden Mediziner Alexander Smikodub und Alexey Karpenko schon durchgeführt. In Österreich ist die Therapie mit embryonalen Stammzellen aus ethischen Gründen verboten. Die Stammzellentherapie, die in unseren Breiten bezüglich ALS noch in den Kinderschuhen steckt, konnte bei „Emcell“ dank 10-jähriger Erfahrung zur wirksamen Therapie umgesetzt werden. Soviel wird zumindest auf der Webseite von „Emcell“ behauptet.
Rüdiger Köhler glaubte diesen Berichten. Als ehemaliger Bauarbeiter, der es gewohnt war anzupacken, traf ihn die Diagnose ALS vor eineinhalb Jahren besonders hart. „Wenn ich in den Rollstuhl komm, nehm’ ich den Strick“ was seine Devise. Als seine Tochter von der Stammzellentherapie in der Ukraine berichtete, gab es für Rüdiger Köhler kein Halten mehr. In einer Spendenaktion sammelte er fünftausend Euro, genug für die beschwerliche Reise nach Kiew in die Zentrale von „Emcell“. Dort bekam er Stammzellen einmal täglich Stammzellen in den Bauch und die Venen injiziert. Drei Tage lang. Anfangs zeigte diese ungewöhnliche Therapie auch Wirkung, Köhler konnte wieder seine Arme bewegen, saß wieder aufrecht im Rollstuhl. Doch längerfristig gesehen wurde der Verlauf der Krankheit nicht gestoppt.
„Emcell“ berichtet auf der firmeneigenen Webseite von einem anderen Fall: Der Amerikaner Don Cook entschloss sich für die Therapie bei „Emcell“. Anders als Rüdiger Köhler musste Cook dafür $15000 bezahlen. Nach dem ersten Tag der Therapie konnte Cook wieder gehen.

Ist die Stammzellentherapie von „Emcell“ also jener Hoffnungsschimmer, auf den ALS-Patienten auf der ganzen Welt sehnlich warten? Die renommierte amerikanische „ALS-Therapy-Development-Foundation“ (ALSTDF) ist skeptisch: Sie versuchten mit dem Ärzteteam von „Emcell“ Kontakt aufzunehmen, um Details über diese Therapie zu erhalten. Die Anfragen blieben unbeantwortet. Die medizinischen Methoden von „Emcell“, so ALSTDF beruhen auf keiner wissenschaftlichen Fundierung. Auch die Gabe der Stammzellen – sie werden in den Bauch und intravenös injiziert – ist laut ALSTDF ungewöhnlich, da es nicht plausibel ist, dass diese Stammzellen einfach so „vom Bauch in das Gehirn wandern“. Weiters ist ALSTDF überrascht darüber, dass „Emcell“ offensichtlich die Stammzellen ohne begleitende Immunsuppression verabreicht. Aus der Behandlung von Krebs mittels Stammzellen weiß man, dass eine medikamentöse Unterdrückung des Immunsystems notwendig ist, da dieses sonst die fremden Zellen abwehrt. „Emcell“ behauptet jedoch, dass die injizierten Stammzellen vom Immunsystem unangetastet bleiben. Eine weitere Unklarheit: „Emcell“ verabreichte die Stammzellen ohne die physische oder neurologische Verfassung der Patienten vor oder nach der Therapie festzustellen und zu dokumentieren. Wie konnte dann aber ohne diese wichtigen Parameter von einer dauerhaften Wirkung der Therapie berichtet werden?
Aber was ist dann mit den Berichten von Patienten, bei denen nach dieser Therapie Verbesserungen aufgetreten sind? Die Experten vermuten, dass es sich bis zu einem gewissen Grade um Fehldiagnosen handeln könnte. Weiters wird darauf hingewiesen, dass im Verlauf der ALS durchaus auch Phasen der Stagnation oder minimalen Verbesserung möglich sind. Die Frage ist, nur ob diese Erklärung jenen Patienten, die auf eine Behandlung der ALS hoffen, ausreichen um den Strohhalm „Emcell“ zu ignorieren. Man muß jedoch berücksichtigen, dass diese Therapie erstens einen enormen finanziellen Aufwand darstellt, zweitens auch mit enormen Stress für den Patienten verbunden ist und drittens kein wissenschaftlicher Beleg für die erfolgreiche Behandlung der ALS durch Stammzellen vorliegt. Die Frage, ob sich der Aufwand lohnt, muß jeder Betroffene für sich selbst beantworten. Wir als Selbsthilfegruppe können in diesem Fall nur die Augen weiter offen halten und die Entwicklungen in der Causa „Emcell“ weiter beobachten. Wir halten Sie am Laufenden.
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Quellen:
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Website der Firma Emcell
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Website der ALS-Therapy-Development-Foundation
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„Der Sinn eines Menschen“, in: taz-Magazin, Nr. 6757 vom 25.5.2002, Seite 6

 
Quelle: www.emcell.com, www.als-tdf.org


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Copyright: ÖALSG; Publiziert von: Florian Brandl (brandl)
factID: 112266.2 (...Archiv); Publiziert am 29 Aug. 2002 19:22